Farblinie-lang.gif (82 Byte)

 

 

 

 

    
 

Mehr Beschäftigung für Ältere!

Nordisch-deutscher Dialog über Folgen des längeren Lebens

Im Rahmen des Gesprächskreises „Nachhaltige Reformpolitik“ der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt-Stiftung ging es 2006 in Berlin um Strategien und den Austausch von Erfahrungen bei der Verbesserung von Beschäftigungschancen Älterer in Dänemark, Norwegen, Finnland und Deutschland.

Die Veranstaltung mit dem Titel: „Hurra, wir leben länger – aber wie ist es mit der Beschäftigung Älterer? Was können wir vom Norden lernen?“ fand in Kooperation mit der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) im Bundesministerium für Arbeit und Soziales statt. Nach der Begrüßung durch den deutschen Vorsitzenden der Stiftung und Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes, MdB, und Referaten der für Beschäftigung und Soziales zuständigen Minister Dänemarks, Norwegens und Deutschlands, Claus Hjort Frederiksen, Bjarne Hakon Hanssen und Franz Müntefering, sowie des hochrangigen Vertreters des finnischen Ministeriums für Soziale Angelegenheiten, Ismo Suksi, folgte eine interessante Diskussion mit den 250 Teilnehmern der Veranstaltung.

 

Einhellige Auffassung war, dass punktuelle arbeitsmarktpolitische Interventionen zugunsten Älterer allein nicht ausreichen. Eine Trendwende weg von Anreizen zum frühzeitigen Ausscheiden aus dem Beruf und hin zu Maßnahmen, die längeres Arbeiten ermöglichen und für alle Seiten lohnend machen, sowie eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters seien vielmehr durch eine Politik zu begleiten, die Wachstum und Beschäftigung insgesamt stärkt.

 

Zudem komme es darauf an, neben den materiellen, volks- und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen auch geeignete qualitative und soziale Bedingungen für das Arbeiten im Alter zu schaffen. Entscheidend sei hier eine Kultur des lebenslangen Lernens durch eine deutliche Verbesserung und den massiven Ausbau von Weiterbildungs- und Qualifizierungsangeboten für alle im Erwerbsleben stehenden Altersgruppen – dabei in neuer Form und besonders für ältere Beschäftigte. Dies wie auch unverzichtbar stärkere Bemühungen um die Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit durch mehr und besseren betrieblichen Gesundheitsschutz sowie altersgerechte Arbeitsorganisation könnten aber nur im Zusammenwirken von Politik, Unternehmen, Gewerkschaften, Sozialversicherungsträgern und gesellschaftlichen Gruppen erfolgreich in Angriff genommen werden. Die Frage, was „gute Arbeit“ ist und wie ihr zu mehr Geltung verholfen werden kann, so das Fazit, müsse mit Blick auf eine demographisch bedingt sich verändernde Arbeitwelt neu gestellt, auf breiter Basis beantwortet und das Ergebnis dann in den Betrieben umgesetzt werden.

 

In ihren Kurzreferaten boten die Minister und der finnische Regierungsvertreter Einblicke in die aktuelle Situation älterer Beschäftigter in ihren Heimatländern. Sie umrissen vergangene und gegenwärtige Politikansätze, beschrieben geplante Reformen und verwiesen auf den engen Zusammenhang, der zwischen verbesserter Integration älterer Menschen in die Arbeitswelt und einem gesamtgesellschaftlichen Mentalitätswandel besteht.

 

Franz Müntefering hob hervor, dass die stärkere Teilhabe von Menschen über 55 Jahren am Arbeitsmarkt nicht nur demographisch und ökonomisch geboten, sondern eine Frage der Menschenwürde sei. Eine Gesellschaft füge sich selbst Schaden zu, wenn sie ihren Älteren den Eindruck vermittele, auf deren Wissen, Erfahrung und Arbeitskraft verzichten zu können.

Der Minister stellte die in Deutschland bestehenden Instrumente zur Steigerung der Beschäftigungschancen Älterer vor und kündigte die Eckpunkte der Initiative 50plus, die bestehende Regeln und neue Maßnahmen zu einem langfristig und umfassend wirksamen Gesamtkonzept zusammenbindet, für den Sommer an. Allerdings sei das längere Verbleiben im Arbeitsmarkt nicht nur eine Sache politischer Vorgaben und Anreize, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie bedürfe auch des verstärkten Engagements von Gewerkschaften, Sozialversicherungsträgern, den Arbeitnehmern selbst und insbesondere auch den Arbeitgebern, um die derzeitige Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen von 41,4 Prozent zielstrebig zu erhöhen.

 

Claus Hjort Frederiksen hob für Dänemark hervor, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor für mehr Beschäftigung Älterer eine günstige konjunkturelle Entwicklung sei. Allerdings habe auch in seinem Land in den 80er Jahren zur Entlastung des Arbeitsmarkts Anreize zum frühzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben zugunsten junger Nachrücker gegeben.

Das habe ein gesellschaftliches Klima befördert, in dem sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern die Einstellung gegenüber Arbeit im Alter skeptisch oder gar negativ geworden sei. Die begonnene und erste Früchte tragende Umkehr setze an drei Punkten an: Zum einen seien Möglichkeiten, vorzeitig in Ruhestand zu gehen, massiv eingeschränkt und durch entgegengesetzte Anreize ersetzt worden. Zum zweiten wirke man mit Beratungsangeboten und Informationskampagnen darauf hin, Vorurteile gegenüber Älteren im Arbeitsmarkt auf breiter Front abzubauen und einen gesamtgesellschaftlichen Einstellungswandel zu befördern. Und zum dritten müsse die Arbeitsmarktpolitik Unternehmen den Rahmen bieten, altersgerechte, betrieblich vereinbarte und den individuellen Bedürfnissen Älterer Rechnung tragende Arbeitsbedingungen zu schaffen. Derzeit liege die Beschäftigungsquote Älterer über 55 Jahre in Dänemark bei 60,3 Prozent.

 

Bjarne Hakon Hanssen betonte, dass sich zwar in Norwegen wichtige Indikatoren wie die Alterung der Gesellschaft, die Beschäftigungsquote Älterer mit 65,8 Prozent und der Anteil Arbeitsloser unter den 55 bis 66-Jährigen vergleichsweise gut darstellten. Allerdings sei auch in seinem Land der Verbleib Älterer in Arbeitslosigkeit überproportional hoch.

 Und eine steigende Zahl von Menschen im Erwerbsalter scheide frühzeitig aus dem Arbeitsleben aus und nehme stattdessen Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit in Anspruch. Entsprechend arbeite die Regierung momentan mit zwei Zielen an der Reform des Rentensystems: Erstens gehe es um eine stärkere Verknüpfung von Lebensarbeitszeit und Höhe der Renten. Und zweitens solle das System der Erwerbsunfähigkeitsrenten geändert werden, um eine weiter wachsende Inanspruchnahme zu verhindern. Desweiteren nehme man mit Blick auf die Förderung und den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit die Sozialpartner stärker in die Pflicht, um substantielle Verbesserungen beim betrieblichen Gesundheits- und Arbeitsschutz zu erreichen.

 

Ismo Suksi wies darauf hin, dass die Bevölkerung in Finnland zu den am schnellsten alternden in der OECD gehöre, was zu anhaltendem und besonders hohem Reformdruck führe. Die Steigerung der Beschäftigungs-quote Älterer von 33,5 Prozent 1994 auf heute 50,9  Prozent sei zwar durch eine Reihe von Maßnahmen befördert worden.

Allerdings habe dabei ein in der zweiten Hälfte der 90er Jahre einsetzender merklicher Wirtschaftsaufschwung und in dessen Folge die allgemeine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt eine mitentscheidende Rolle gespielt. Kernstück der finnischen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik mit dem Fokus auf ältere Beschäftigte sei das VETO-Programm: Dieses richte sich unter Einbindung von Arbeitgeberverbänden, Krankenversicherungen, Rentenversicherungs- sowie Rehabilitationsträgern direkt an Arbeitnehmer über 45 Jahre, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Standesorganisationen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes. Zentrales Ziel sei es, durch Beratung, Training und Fortbildung mehr Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz und eine stärker auf die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer ausgerichtete Arbeitsorganisation zu erreichen.

 

Die Statements und die anschließende Diskussion unter Moderation des Parlamentarischen Staatssekretärs Franz Thönnes zeigten, dass die vier vertretenden Länder durch demographischen Wandel, dadurch entstehenden Druck auf die sozialen Sicherungssysteme und bei der Verbesserung von Beschäftigungschancen Älterer vor grundsätzlich gleichen Herausforderungen stehen.

 

Alle vier Länder setzen aktuell tief greifende Reformen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Rente um, die die Voraussetzungen und Regeln für einen längeren Verbleib Älterer im Berufsleben schaffen sollen. Ein Blick über die Grenzen zeigt: Deutschland steht mit der notwendigen Erhöhung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre, die schrittweise von 2012 an bis 2029 erfolgen wird, nicht allein. Auch bei den nordischen Nachbarn wurde bzw. wird das gesetzliche Renteneintrittsalter zum Teil deutlich angehoben. In Finnland gilt seit 2005 ein Korridor von 63 bis 68 Jahren, in Norwegen liegt die Grenze heute schon bei 67 Jahren und Dänemark soll sie 2023 beginnend binnen 24 Monaten ebenfalls von 65 auf 67 Jahre angehoben werden.